Workshop „Unsicheres Wissen“

Workshop der AG Medienwissenschaft und Wissenschaftsforschung der Gesellschaft für Medienwissenschaft in Kooperation mit den DFG-Graduiertenkollegs „Automatismen“ (Universität Paderborn), „Das Reale in der Kultur der Moderne“ (Universität Konstanz) und „Locating Media“ (Universität Siegen)

Ort:
Universität Paderborn
Internationales Begegnungszentrum (IBZ)
Warburger Str. 100, 33098 Paderborn

19. und 20. Juni 2013

Mit dem Titel „Unsicheres Wissen“ adressiert der Workshop unterschiedliche Aspekte und Formen des Wissens der Wissenschaften, die die Situiertheit, die Lokalität, die Historizität, die Kontingenz – die Liste ließe sich durchaus erweitern – des entsprechenden Wissens aufrufen. Wissensgenerierung hat immer einen konstitutiven Bezug auf das eigene Nicht-Wissen, geht es doch um die Transformierung eines Nicht‐Wissens in ein Wissen. Wie kann man Zugang zu diesem Nicht‐Wissen gewinnen? Welche Formen kann man überhaupt benennen? Ein Beispiel wäre das implizite Anwendungswissen der beteiligten Wissenschaftler, das sich nicht formalisieren lässt und so die vermeintliche Universalität des Wissens in Frage stellt (Collins 1974, Polanyi 1985).
„Unsicher“ meint aber auch unvorhersehbar und damit riskant und deshalb auch informativ (im Sinne der Kybernetik). Wie wirkt die Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft der Wissenschaften? Mit welcher Theoriebildung kann Phänomenen der Unvorhersehbarkeit und Spontaneität begegnet werden – in Frage stehen damit auch der Status der etablierten Wissenssysteme sowie die Rolle von Experimenten? Zu denken wäre an Rheinbergers „epistemische Dinge“, die paradoxerweise gerade das verkörpern, „was man noch nicht weiß.“ (Rheinberger 2001: 25) Die Frage nach der Modellbildung in den Wissenschaften könnte hieran anschließend auch eine Rolle spielen. Welche Modelle schränken ein, legen fest, schreiben sich in die Ausrüstung der Wissenschaftler ein und verhindern damit, dass man von den Ergebnissen überrascht werden kann? Welche Modelle können dem entgehen und „riskantes Wissen“ produzieren? Riskant ist es auch deshalb, weil es riskant ist, das eigene Nicht-Wissen auszublenden.
So rückt angesichts einer globalen Wissensordnung, die zunehmend mit einer unbeherrschbaren Zukunft rechnet, für die Wissenschaftsforschung die Frage nach der Form eines solchen Wissens in den Vordergrund. Unter dem Titel „Unsicheres Wissen“ geht es dem Workshop deshalb um die Modellierung und Simulation solchen ‚Zukunftswissens‘ und um das in derartigen Modellierungen adressierte Verhältnis von Wissen und Nichtwissen. Während in der eher traditionell ausgerichteten Forschung Konzepte wie das der ‚begrenzten Rationalität‘ (Herbert A. Simon) oder die Unterscheidung von ‚Unsicherheit‘ (risk) und ‚Ungewissheit‘ (uncertainty) vorherrschten, kann man in den letzten Jahren eine signifikante Verschiebung in den Bemühungen um die Adressierung des Nicht-Wissens konstatieren. Der durch den Zuwachs an Wissen systematisch erweiterte Bereich an Nicht-Wissen wird durch an Katastrophen (Finanzkrise, Terrorismus) geschulten Konzepten wie der Szenario-Forschung, deren Zukunftsprojektionen angeblich gerade nicht vom Gegebenen ausgehen, angesteuert.

Konzeption: Alexander Zons und Gabriele Schabacher

Es gibt einen Reader mit den Texten, die im Workshop besprochen werden – Zugang bei Anmeldung.
Anmeldungen bitte an: Alexander.Zons@uni-konstanz.de oder gabriele.schabacher@uni-siegen.de


 

Programm

 
19. Juni 2013
14.00 Begrüßung (Gabriele Schabacher/Alexander Zons)
14.15 Florian Hoof (Frankfurt): Mediale Schwellen- und Grenzobjekte
15.15 Kaffeepause
15.30  Lektüre I (Moderation: Alexander Zons): Situiertes Wissen/Lokales Wissenspraktiken

Sara Delamont, Paul Atkinson (2001): „Doctoring uncertainty. Mastering craft knowledge“, in: Social Studies of Science 31 (1): 87-107.

Trevor Pinch, H.M. Collins, Larry Carbone (1996): „Inside Knowledge: Second Order Measures of Skill“, in: Sociological Review 44 (2): 163-186.

Fakultativ:
Donald MacKenzie, Graham Spinard (1995): „Tacit Knowledge, Weapons Design, and the Uninvention of Nuclear Weapons“, in: American Journal of Sociology 101 (1): 44-99.

16.45    Kaffeepause

17.15    Cornelius Schubert (Augsburg/Siegen): Ungewissheit, Kontingenz und Emergenz. Pragmatistische Ideen zum „Überkochen“ der Praxis

19.00     gemeinsames Abendessen

20. Juni 2013

09.00    Sven Stollfuß (Mannheim): „Probieren geht über Studieren“? Unsicheres Wissen in den Diskursen über digitale Bildpraxen der Wissenschaft

10.00    Kaffeepause

10.15    Lektüre II (Moderation: Gabriele Schabacher): (Un-)Sichere Zukunft

Simon Shackley, Brian Wynne (1996): „Representing uncertainty in global climate change science and policy. Boundary-ordering devices and authority“, in: Science, Technology & Human Values 21 (3): 275-302.

Ute Tellmann, Sven Opitz (2009): „Katastrophale Aussichten. Gegenwärtige Zukunft in Recht und Ökonomie“, in: Leon Hempel, Susanne Krasmann, Ulrich Bröckling (Hg.), Sichtbarkeitsregime. Überwachung, Sicherheit und Privatheit im 21. Jahrhundert, Leviathan Sonderheft, Jg. 25, 27-52.

Fakultativ:
Marieke De Goede (2008): „Beyond Risk: Premediation and the Post-9/11 Security Imagination“, in: Security Dialogue 39 (2–3): 155-176.

11.30    Kaffeepause

12.00    Martin Müller (Paderborn): ‚Les Jardins Chimiques‘ – Zur Intensivierung von Ingenieurprinzipien nach dem Humangenomprojekt

13.00     Abschlussdiskussion


 
Weiterführende Literatur

Lee Clarke: Mission Improbable. Using Fantasy Documents to Tame Disaster, Chicago/London 1999.
H.M. Collins: The TEA Set: Tacit Knowledge and Scientific Networks, in: Science Studies, Vol. 4, No. 2 (Apr., 1974), S. 165-185.

Richard Ericson, Aaron Doyle, Catastrophe Risk, Insurance, and Terrorism, in: Economy and Society, Jg. 33, 2004, S. 135–173.

François Ewald: Insurance and Risk, in: Graham Burchell u.a. (Hg.), The Foucault Effect. Studies in Governmental Rationality, Hertfordshire 1991, S. 197-210.

Heinz von Foerster: Lethologie, in: Ders.: KybernEthik, Berlin 1993, S. 126-160.

Eva Horn: Der Anfang vom Ende. Worst-Case-Szenarien und die Aporien der Voraussicht, in: Archiv für Mediengeschichte, Nr. 9: Gefahrensinn, 2010, S. 3-21.

Andrew Lakoff, The Generic Biothreat, Or How We Became Unprepared, in: Cultural Anthropology Vol. 23, Issue 3, S. 399-428.

Michael Polanyi, Implizites Wissen, Frankfurt/M. 1985.

Hans-Jörg Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Göttingen 2001.

Peter Schwartz: The Art of the Long View. Path to Strategic Insight for Yourself and your Company, New York 1991.