GfM-Jahrestagung 2014 – Medien|Recht

Panel „Situating Law and Media. Medien der Accountability V“
02.-04.10.2014 in der Philipps-Universität Marburg

Rechtspraktiken situieren Medien, sei es in nationalen oder länderübergreifenden Rechtsordnungen und durch völkerrechtliche Verträge. Medienpraktiken fordern wiederum ihre Normativierung heraus und entziehen sich doch nur allzu leicht der Verortung ihrer rechtlichen Dimension. Dies gilt auch für die Rechtswissenschaft selbst, die gerade durch die Entwicklung der Internetkommunikation die „zirkulierende Referenz“ von digitalen Medienpraktiken kaum mehr verorten kann. Ist die Medienwissenschaft bereits in der Lage, der fortwährenden Überlagerung und Durchkreuzung von Rechts- und Medienpraktiken methodisch beizukommen? Auffällig bleibt, dass bisher nahezu alle aufrufbaren Klassiker (Michel Foucault, Niklas Luhmann, Cornelia Vismann) zwar bei den Operationen rechtlicher Systeme ansetzen, aber diese meist auf einer abstrakten Ebene verrechnen. Einer solchen Faszination für das Verallgemeinerungsfähige der Rechts und seiner Mittel folgt selbst Bruno Latours Rechtsethnografie La fabrique du droit (2002), die den Mitteleinsatz der Akteure minutiös aufarbeitet, aber zum Schluss doch selbst eine Definition dessen vornimmt, was „Recht“ ist.

Wir schlagen im Gegenzug medienethnografische, rechtswissenschaftliche und techniksoziologische Perspektiven vor, die Rechts- und Medienpraktiken in ihrer fortwährenden kooperativen Verfertigung analysieren, die gerade in Situationen der Rechtfertigung besondere Brisanz gewinnt (Boltanski/Thévenot 1991). Ansatzpunkte für ein solches Vorgehen liegen in den Science and Technology Studies und den empirisch grundierten angloamerikanischen „empirical legal studies“ vor. Das Panel debattiert davon ausgehend Netzneutralität als Bürgerrecht, die rechtspolitische Übersetzung von Fanfiction-Medienpraktiken in Urheberrechtsreformen, die informelle Aushandlungen von Schöpfungsnormen auf Twitter und die Regulierung von Computersimulationen im Finanzsektor.

Ein Panelvorschlag des Graduiertenkollegs „Locating Media“ und der AG „Medien der Kooperation“

Moderatorin: Gabriele Schabacher
gabriele.schabacher@uni-siegen.de

Panelverantwortlicher: Sebastian Gießmann
giessmann@medienwissenschaft.uni-siegen.de

 

Vortragende

Dr. Sebastian Gießmann
Universität Siegen, Lehrstuhl für Medientheorie
giessmann@medienwissenschaft.uni-siegen.de
Homepage: www.sebastiangiessmann.de

Im Parlament der möglichen Medienpraktiken. Zur Situierung der Netzneutralitätskontroverse

Der Vortrag rekonstruiert eine Merkwürdigkeit der jüngeren Internet- und Rechtsgeschichte: In der Diskussion um „Netzneutralität“ geht es um eine zunächst lediglich medientechnisch erscheinende Frage – wie werden Datenpakete in welcher Netzwerkarchitektur unter welchen Zugangsbedingungen transportiert? Rechtspolitisch erstmals verhandelt wurde dies nach einer Intervention von Lawrence Lessig und Tim Wu – in Rahmen einer Stellungnahme gegenüber dem amerikanischen Regulierer FCC (2003) – zunehmend als bürgerrechtliches Problem der Partizipation und Teilhabe an soziotechnischen Infrastrukturen. Parallel dazu entstanden innovationstheoretische und ökonomisch motivierte Analysen, die den Gleichheitsaspekt auf der Ebene des Marktzugangs ansetzen.

Die Netzneutralitätskontroverse stellte sich zunächst als ein hoch abstraktes politisch-ökonomisches Thema dar, das früher Expertenkreisen der Medienregulierung vorbehalten geblieben wäre. Die netzaktivistische Sensibilisierung für mögliche Auswirkungen auf Internetmedienpraktiken hat sich aber sukzessive als begründet erwiesen: Spätestens mit der von der Deutschen Telekom 2013 angekündigten, dann weitestgehend zurückgenommenen Drosselung von privaten Internetzugängen bei zu hohem Datenverbrauch hat sie auch die deutsche Öffentlichkeit erreicht.

Anhand der national unterschiedlich geführten Debatten zur Netzneutralität soll der Vortrag mittels „infrastruktureller Inversion“ (Geoffey Bowker) zeigen, wie die strittige regulatorische Antizipation von möglichen Medienpraktiken zur Situierung der ganz alltäglichen Internetnutzung beiträgt. Annahme ist dabei, dass die Lokalisierung des Internets und seiner Dienste auch über seine jeweilige rechtliche Einbettung stattfindet. Gerade, indem man den Wunsch nach einem egalitären Zugang „account-able“ macht (diskursiv, rechtlich, ökonomisch, technisch), wird das Internet durch die rechtliche Grundierung von Nutzungspraktiken infrastrukturell modifiziert.

Prof. Dr., LL.M. (Wellington) Nadine Klass
Universität Siegen, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht
klass@recht.uni-siegen.de

Fan Fiction: Normative Implikationen eines aktuellen Medienphänomens

Fan-Fiction (FF), lange Zeit eine Außenseiter-Kunstform, ist in wenigen Jahren zu einem Medienphänomen geworden. Da FF-Werke auf fremden Werken aufbauen oder reale Personen (Real Person Fiction) zum Vorbild nehmen, stellt sich eine Vielzahl rechtlicher Fragen. So ist zu klären, ob und inwiefern die Fanobjekte bzw. ihre Elemente, wie Beziehungsgeflechte, Schauplätze oder Charaktere, überhaupt urheberrechtlichen Schutz erfahren können. Bejaht man einen solchen, muss die Frage beantwortet werden, unter welchen Voraussetzungen das FF-Schaffen zulässig ist.

Untersucht man FF-Plattformen, zeigt sich, dass im Kreieren von FF-Werken ein erhebliches Verletzungspotential besteht, denn FF-Werke halten in der Regel nicht den von Gerichten geforderten „Abstand zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des älteren Werkes“ ein. Vielmehr ist dessen individueller Charakter fast immer erkennbar, weshalb typischerweise in das Bearbeitungsrecht des Urhebers eingegriffen wird. Urheberrechtlich unproblematisch ist das Werkschaffen daher nur dann, wenn es auf der Basis gemeinfreier Werke erfolgt oder der Fan nur insofern an das Originalwerk anknüpft, als dieses selbst auf gemeinfreien Elementen beruht. Weniger problematisch erscheint das fiktionale Werkschaffen, welches reale Personen zum Vorbild nimmt. Dies bedeutet, dass zumindest FF auf der Basis urheberrechtlich geschützter Werke tendenziell Urheberrechte der Originalschöpfer verletzt.

Aus rechtspolitischer Sicht ist daher zu untersuchen, ob eine andere Regelung nicht angemessener wäre. Zum einen zeigt eine Interessenanalyse, dass FF durchaus eine Quelle für Innovation ist, dass es i.d.R. keine Profite erzeugt, die zugleich Verluste für den Rechtsinhaber implizieren, und dass FF-Werke keinesfalls ein Substitut für das Originalwerk darstellen. Zum anderen ist zu bedenken, dass ein Schutz, der über das erforderliche Maß hinausgeht, auf Dauer nicht akzeptiert wird und zu einem weiteren Akzeptanzverlust des Urheberrechts führen wird.

Johannes Passmann
Universität Siegen, DFG-Graduiertenkolleg Locating Media
passmann@www053.zimt.uni-siegen.de

Die Zurechnung des Schaffens. Informelles Urheberrecht und seine Durchsetzung auf Twitter

„Was wollt Ihr Twitter-Lutscher eigentlich GENAU? […] Wollt Ihr Geld? Wollt Ihr eine Art GEMA? Wollt Ihr nur gefragt werden? Wollt Ihr ein Eis? Jeder von Euch schreit ständig ‚Diebstahl‘! Nur rein rechtlich gibt es hier keinen Diebstahl, weil es keinen Besitztum gibt! […]“ postet der Nutzer Marc Berchtold am 3. September 2012 auf Facebook. ‚Rein rechtlich‘ hat er damit nicht unbedingt Recht: Ob Tweets die im deutschen Urheberrecht geforderte „Schöpfungshöhe“ erreichen, ist umstritten und abhängig von der Frage, ob darin „der menschliche Geist zum Ausdruck kommt, und sich als Ergebnis des individuellen geistigen Schaffens des Urhebers“ darstellt – ein Umstand, der auf die Masse der Tweets nicht zutreffe, wie der Rechtsanwalt und Blogger Thomas Stadler bemerkt. Tatsächlich aber hat die Münchener Verlagsgruppe der Forderung der Twitter-Nutzer nachgegeben und das aus „geklauten Tweets“ bestehende „Sprüche-Buch“ von Rolf Hohenhaus, um das die Debatte entbrannte – Nachts um 3 Uhr klingelte der Nachbar. Mir ist vor Schreck fast die Bohrmaschine aus der Hand gefallen – nicht publiziert.

Der Vortrag stellt zur Diskussion, in wie weit man es hier mit einem Fall extralegalen Urheberrechts zu tun hat, wie es in der Forschung um Low Intellectual Property Rights (IPR) Regimes thematisiert wird. Wie für solche „Regimes“ auch, scheint es für den dargestellten Fall entscheidend, dass für die Schaffenden selbst die Zurechnungsmöglichkeit (d.h. accountability) geistiger Leistung unzweifelhaft bestand. Auf Grundlage ethnografischer Daten werden die dabei verwendeten impliziten Regeln, Sanktionsversuche und normative Debatten dieser Twitter-Nutzergruppe herausgearbeitet. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Forschung um Low IPR Regimes stets darauf verweist, dass derartige Regelsysteme oft Eingang in das legale Urheberrecht gefunden haben.

Dr. Cornelius Schubert
Universität Siegen, DFG-Graduiertenkolleg Locating Media
cornelius.schubert@uni-siegen.de

Regulierungen des Ungewissen. Situierte und mediale Prüfungen im Rahmen der Finanzaufsicht

Seit der letzten Finanzkrise nehmen die Rufe nach einer stärkeren gesetzlichen Regulierung von Banken und Versicherungen deutlich zu. So werden etwa bei Banken neue Bestimmungen zur Eigenkapitalquote im Zuge der Basel III-Reformen erlassen, um die Stabilität der Geldhäuser auch in Krisenzeiten zu gewährleisten. Diese Eigenkapitalquoten wiederum werden teils für eine Branche oder Region, aber auch für Einzelunternehmungen mittels computersimulierter Stresstests von Aufsichtsbehörden, wie etwa der BaFin, geprüft. Damit werden solche computersimulierten Szenarien zu einem zentralen Medium der Kontrolle und Regulierung von Finanzhandeln, zu einem Medium der Risikokontrolle und der Vergewisserung des Zukünftigen.

Um die generell erhöhten Eigenkapitalvorschriften für ihr jeweiliges Geschäftsfeld abzusenken, können Banken jedoch eigene Computermodelle erstellen und von der BaFin genehmigen lassen. Die Regulierung des Finanzhandelns löst sich dann von der Allgemeinverbindlichkeit einer einzigen Eigenkapitalquote und wird zum situierten Aushandlungsgegenstand zwischen den Geldhäusern und der Finanzaufsicht.

In meinem Beitrag werde ich anhand empirischer Beobachtungen im Bankensektor diesen situierten und medialisierten Prüfungen nachgehen und aufzeigen, wie die computersimulierten Risikomodelle von beiden Seiten ausgehandelt werden. Denn aufgrund der Komplexität und Undurchsichtigkeit von Computersimulationen lässt sich die Zuverlässigkeit der Stresstests immer nur annäherungsweise und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl bestimmen. Nicht zuletzt verschiebt sich auch die gesetzliche Regulierung in die technischen Möglichkeiten von Computersimulationen, was vielleicht nicht zu einem „end of law“ (Hildebrandt 2009) führt, zumindest aber zu einer situierten Re-Konfiguration von Medium und Recht.