GfM-Panel „Medien im Maßstab“

Panel „Medien im Maßstab“ auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft „Medien der Wissenschaften“

Wie sich Feld- und Laborforschung als situierte Medienpraxis untersuchen lassen“
auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft „Medien der Wissenschaften“

Leuphana-Universität Lüneburg,
3.-5. Oktober 2013

Im Panel möchten wir der Frage nachgehen, wie sich die Forschungsorte Labor und Feld selbst als Medien der Wissenschaften begreifen lassen und welche spezifischen  Bedingungen sie für die Forschungspraxis stellen. Entlang Bruno Latours Idee, dass Laboratorien Orte der Veränderung von Maßstäben sind, von denen aus die Welt aus den Angeln gehoben werden kann (Latour 1983), wollen wir nach den situierten Medienpraktiken suchen, mit denen in Labor- und Feldwissenschaften solche Maßstabsveränderungen durchgeführt werden. Die Vorträge im Panel suchen nach Grenzüberschreitungen zwischen Labor und Feld, nach den medialen Praktiken des Isolierens, Verdichtens und Verschiebens, nach den Verschränkungen von kommunizierten und inkorporierten Wissensbeständen und wie diese als orts- und situationsbezogene Forschungspraxis rekonstruiert werden können.
Neben der Frage von Feld und Labor als Medien der Wissenschaft kommen somit die Instrumente, Techniken, Repräsentationen und Objekte der medialen Vermitteltheit von Wissen und Wissenschaft in den Blick – etwa auch in Ausstellungen und in der wissenschaftsinternen Kommunikation. So ist beispielsweise zu klären, ob mit wissenschaftlichen Instrumenten eventuell das Labor ins Feld getragen wird oder ob sie das Feld im Labor oder anderswo verfügbar machen. Auch ist zu klären, wie wissenschaftliches Wissen in- und außerhalb der Wissenschaft prozessiert und zirkuliert wird, was nicht nur das Verhältnis Feld und Labor, sondern allgemeiner auch von Wissenschaft und Gesellschaft betrifft. Das Panel umfasst eine Reihe von Beiträgen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Forschungspraktiken beschäftigen und bietet so einen den Rahmen für eine vergleichende Diskussion von Ähnlichkeiten und Unterschieden der untersuchten (Forschungs-)Medien der Wissenschaften.

Moderation: Gabriele Schabacher

 

Anna Brus: Sammeln, Ordnen, Vergleichen
Über die Domestizierung fremder Dinge

Die Laborforschung hat die experimentelle und mediale Seite von Forschungsprozessen betont und damit auch für die kulturwissenschaftliche Wissensgeschichte eine neue Perspektive erschlossen. Parallel zum Forschungshandeln im Labor soll hier die Praxis von kulturrelativistischen und primitivistischen Ausstellungen in Deutschland in einer mikroanalytischen Perspektive betrachtet werden. Der Vortrag soll sich an den konkreten lokalen Verfahren orientieren und die Prozesse des Sammelns, der medialen Vervielfältigungen, der Skalierungen des Maßstabs und die manuellen Techniken der Ausstellungsmacher in den Blick nehmen. Durch das experimentelle Arrangement und die Kombinatorik von außereuropäischen Skulpturen und expressionistischen Gemälden in deutschen Ausstellungen wurden Verbindungen geschaffen, die räumlich und kontextuell weit entfernte Objekte in einen gemeinsamen Interpretationszusammenhang rückten. Die daraus gewonnene künstliche Objektkonfiguration führte zu einer Intensivierung des vermeintlichen Kontakts und machte die außereuropäische Kunst zur Projektionsfläche der Moderne.
Den Scheitelpunkt dieser Hinwendung zum Fremden bildet die Ausstellungspraxis des Kölner Museumsdirektors und Ethnologen Julius Lips (1895-1950), der in einer 1932 geplanten, aber nie realisierten Ausstellung den kolonialen Blick auf die außereuropäischen Kulturen umkehren und den Kolonisator aus der Sicht des Kolonisierten als den eigentlichen Barbaren zeigen wollte. Lips’ Sammlung von Europäer-Darstellungen aus verschiedenen kolonialen Kontexten durchbricht die bekannten Sehmuster und bezeugt die Eigendynamik und Widerständigkeit der fremden Objekte.

 

Matthias Meiler: Andere Medien? Anderes Wissen? Anderes Streiten?
Weblogs als Formen der internen Wissenschaftskommunikation

Im Pedologenfaden arbeitet Latour (2002) heraus, wie wissenschaftliches Wissen hervorgebracht wird, indem einerseits Welt als differenziert und befragbar gesetzt und anderseits diese Welt in kleinteiligen Operationsschritten semiologisch so zugerichtet, strukturiert und immer wieder transformiert wird, dass diese Ausschnitte von Welt nicht nur unveränderlich und mobil gemacht werden, sondern sich ebenso in den bodenkundlichen Diskurs einfügen können. Eine Inskription folgt somit immer einer vorgängigen und wird immer in nachgängige Inskriptionen überführt – und so stellt sich das Problem der Referenz eigentlich als Kreislauf von Inferenzen dar (Jäger 2008).
Das Einfädeln von Welt/Wissen in das Gewebe eines wissenschaftlichen Diskurses findet so in den jeweiligen Situationen wissenschaftlichen Arbeitens auf unterschiedliche Weisen statt. Die wissenschaftliche Öffentlichkeit stellt dabei den Fluchtpunkt wissenschaftlicher Wissensproduktion dar, da die Entwicklung wissenschaftlichen Wissens einerseits das Veröffentlichungsgebot, anderseits das Rezeptionsgebot und Kritikgebot grundlegend voraussetzt (Weinrich 1986).
Die aktuelle Erforschung digitaler Wissenschaftskommunikation (Gloning/Fritz 2011) kann in Verbindung mit der Wissenschaftssprachforschung (Ehlich 1994) bezüglich dieser Öffentlichkeit fragen, ob neue Publikationsformate wie Weblogs die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit neuem und altem Wissen verändern. Welche Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlichen Streitens ermöglichen diese Inskriptionen mit ihrer medialen Spezifik?
Der Beitrag will anhand der exemplarischen Analyse von geoberg.de erste Schritte in die Erforschung des Gegenstands aufzeigen, indem die mediale Spezifik von Blogs im Allgemeinen und die kommunikativen Handlungen im Besonderen herausgearbeitet werden, um zu zeigen, wie dort ein neues Wissen über das Feld nordkalifornischer Goldlagerstätten in den Diskurs der Geo- und Montanwissenschaften eingebracht wird.

 

Cornelius Schubert: Wissenschaftsmedien in „freier Wildbahn“
Computersimulationen und gesellschaftliches Zukunftswissen in Wirtschaft und Politik

In der Beschäftigung mit Computersimulationen als neuen Instrumenten der Erkenntnisproduktion steht in der Wissenschaftsforschung der prekäre epistemologische Status von Computersimulationen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie sind weder Empirie noch Theorie, weder Feld noch klassisches Labor. Nichtsdestotrotz bilden sich um sie herum neue Formen einer „computational science“ (Gramelsberger 2011) . Der Vortrag schließt an diese Diskussion an, fragt aber darüber hinaus nach den veränderten Erkenntnisbedingungen, die sich bei einer Nutzung von Computersimulationen außerhalb wissenschaftlicher Kontexte ergeben. Wie etwa verschieben sich die Kriterien der Validierung und Sanktionierung und mit welchen anderen Wissensbeständen konkurrieren die errechneten Ergebnisse?
Zur Beantwortung dieser Fragen wird eine vergleichende Analyse numerischen Prognosen sozialer Dynamiken in Wirtschaft und Politik, etwa in Banken, Versicherungen, Ministerien und Think Tanks vorgeschlagen. Damit sollen sowohl eine „Eigenlogik“ von Computersimulationen zur Vorhersage gesellschaftlicher Prozesse in den Blick kommen, als auch situative Unterschiede in den spezifischen Anwendungskontexten. Dabei werden Computersimulationen einerseits als Generatoren gesellschaftlichen Zukunftswissens verstanden, anderseits wird das „Hier und Jetzt“ numerischer Prognose als sozial organisierter Vorhersagepraxis untersucht. Nicht zuletzt entsteht damit die Frage, inwieweit sich Computersimulationen als experimentelle „Zukunftslabore“ auch außerhalb wissenschaftlicher Labore etablieren und an gesellschaftliche Zukunftsvorstellungen mitwirken.

 

Nadine Taha:  Fliegen, Fotografieren und Wettermachen
Zur Relevanz fotografischer Praktiken im Cloud Seeding

Für die kultur- und technikhistorische Erforschung von Laboren haben sich die Laborstudien der Science and Technology Studies als wertvoll erwiesen. Dieser Beitrag evaluiert den Mehrwert der STS-Perspektive für die Mediengeschichte. Hierfür wird die Entwicklung und Nutzung technischer Medien in einem der Industrieforschungslabore von General Electric in den Blick genommen.
Untersucht wird das Cloud Seeding (dt. Wolkenimpfen) bzw. die Produktion von Regen, Schnee und atmosphärischer Elektrizität. General Electric startete seine Forschung im Bereich der Wettermodifikation durch die Verwendung von Trockeneis und Silberjodid bereits 1946. Aus den anfänglichen Experimenten, die in einer Gefriertruhe durchgeführt wurden, formierte sich das großangelegte Forschungsvorhaben Project Cirrus. In Kollaboration mit  dem amerikanischen Militär wurden in dem Zeitraum zwischen 1947 und 1952 die Experimente intensiviert. Diese ließen sich in drei Bereiche gliedern: Laborforschung, Feldstudien und Flugexperimente. In allen Bereichen nahm die Wolkenfotografie eine Schlüsselposition ein. Fotografische Praktiken wurden nicht nur für dokumentarische Zwecke verwendet, vielmehr dienten sie dem Vermessen der Wolkendecken. Pro Flugexperiment wurde etwa neben einem Seeding-Flugzeug ein Foto-Flugzeug eingesetzt, welches in Intervallen Fotografien anfertigte und damit Rückschlüsse über Wolkenformationen im zeitlichen Verlauf zuließ. Entwickelt und ausgewertet wurden die Bilder im Labor. Hier entfaltete das Messinstrument sein Potential, das Wolkenfeld im Labor auszubreiten und dem Forscher einen Maßstabswechsel vor Augen zu führen.
Unter Berücksichtigung dieser Fallstudie soll insbesondere der Impulse gegeben werden, wissenschaftliche Messinstrumente im Allgemeinen als Medien anzuerkennen.